Kapitel 5. Nina Van Gorkom. Abhidhamma im Alltag


Die verschiedenen Stärkegrade der lobha


Nachdem wir erfahren haben, dass lobha Leiden schafft, möchten wir sie wohl gerne ausmerzen. Vielleicht können wir lobha für einige Zeit unterdrücken. Sie wird aber, sobald die rechten Bedingungen vorhanden sind, wieder entstehen. Obwohl wir wissen, daß lobha Sorgen und Kummer bringt, können wir ihre Entstehung nicht vermeiden. Trotzdem gibt es einen Weg, der zur Tilgung oder lobha führt. Die Weisheit, die die Dinge sieht, wie sie wirklich sind, vermag eine Tilgung oder Verminderung zu bewirken. Um diese Weisheit zu gewinnen, ist es notwendig, nicht nur die groben Stärkegrade der lobha zu kennen, die böse Taten motivieren, sondern auch die feineren. Mehr Einzelheiten über citta zu wissen, wird eine Hilfe sein, uns besser zu kennen. Folgende sutta gibt ein Beispiel für feinere lobha. Wir lesen im 'Samyutta-Nikāya" (SagāthāVagga IX, Wald-Sutten,Teil 14):

'Zu jener Zeit hielt sich ein Mönch bei den Kosalern in einem Wald auf. Nachdem er von seinem Almosengang zurückgekehrt war und gespeist hatte, badete er in einem Teich voller Lotusblumen und zog den Duft einer roten Lotusblume ein. Der Deva, der oft diesen Teil des Waldes aufsuchte, wurde von Mitgefühl für den Mönch bewegt. Weil er des Mönches Wohlergehen wünschte und ihn anregen wollte, näherte er sich ihm und sprach ihn folgendermaßen an: „Jene Blüte, aus dem Wasser geboren, nicht überreicht, Du stehst dort und ziehst ihren Duft ein. Dies ist wohl eine Art von Stehlen. Und ich muß dich wohl Geruch-Dieb nennen, Herr."
(Der Mönch:)
„Nichts soll mich betören, ich breche nichts. Beiseite stehend, rieche ich des Wassers Kind. Aus welchem Grunde sollte ich Geruch-Dieb genannt werden? Einer, der Wasserlilien ausgräbt, einer, der sich davon ernährt, mit vielerlei Aufgaben beschäftigt: warum nennst du ihn nicht so?"
(Der Deva.)
„Mit einem Manne von unbarmherzigem, schlimmem Charakter, ekelhaft befleckt, wie die schmutzigen Kleider einer Magd, Einen solchen treffen meine Worte nicht. Aber es schickt sich, daß ich zu dir so spreche; einem, der nur nach dem forscht, was rein ist: was für den Schlimmen nur den Anschein einer Haaresspitze hat, erscheint für ihn so groß wie eine Wolke...'"


Nicht nur die Sutten, sondern auch das Vinaya (Buch der Mönchsregeln) geben viele Beispiele für die feineren Formen der lobha. Jeder Teil der Lehre, das Vinaya, die Sutten und der Abhidhamma, können uns helfen, uns besser zu verstehen. Wenn wir das Vinaya lesen, erkennen wir, daß sogar die Mönche, die ein Leben der Zufriedenheit mit Wenigem führen, noch lobha angesammelt haben. Jedesmal, wenn Mönche von der Reinheit des Lebens abwichen, wurde eine neue Regel niedergelegt, die ihnen helfen sollte, achtsamer zu sein. Die Nützlichkeit der Regeln, die bis in die kleinsten Einzelheiten gehen, verstehten sich aus dem Benehmen der Mönche. Die Regeln helfen den Mönchen bei den gewöhnlichsten Handlungen des täglichen Lebens wie Essen, Trinken, Anziehen und Gehen, achtsam zu sein. Es gibt Regeln, die anscheinend unschuldige Handlungen, wie das Spielen im Wasser und mit Wasser (Pācittiya 53), oder das Hänseln anderer Mönche verbieten. Diese Handlungen wurden nicht mit kusala citta, sondern mit akusala citta ausgeführt. Wir lesen im Vinaya („Suttavibhanga", Pācittiya 85), daß Mönche nicht zur unrechten Zeit ein Dorf aufsuchen sollten. Die Begründung dafür ist, daß sie sich zu leicht weltlichen Gesprächen hingeben würden. Wir lesen:

'Zu jener Zeit begaben sich sechs Mönche zur unrechten Zeit in ein Dorf. Sie ließen sich in einer Halle nieder und plauderten über allgemeine Dinge: über Könige, Diebe, bedeutende Minister, Armeen, Befürchtungen, Kriege, Speisen, Getränke, Bekleidung, Lagerstätten, Girlanden, Wohlgerüche, Fahrzeuge, Dörfer, kleine Städte, große Städte, Länder, Frauen, starke Getränke, Straßen, Brunnen, Verstorbene, Verschiedenes, theoretische Betrachtungen über die Welt, über die See, über Werden und Nichtwerden ...'


Dieser Abschnitt ist auch für den Laien nützlich. Wir kommen nicht umhin, über weltliche Dinge zu sprechen. Wir sollten aber wissen, daß unsere Rede, auch wenn sie unschuldig erscheint, durch lobha-mūla-citta oder durch dosa-mūla-citta (in Haß und Abneigung wurzelnde citta) begründet ist. Um uns selbst zu kennen, sollten wir herausfinden, welche Art von citta unsere Rede motiviert.

Durch jedes Entstehen von lobha-mūla-citta wird lobha angesammelt. Lobha vermag böse Taten durch Gedanken, Worte und Werke zu motivieren, wenn die rechten Bedingungen erfüllt sind. Erkennen wir, zu welchen Taten lobha führen kann, verspüren wir wohl einen stärkeren Drang, sie auszutilgen.

Böse Taten werden in Pali akusala-kamma genannt. Kamma ist der cetasika (geistiger Faktor, der mit einem citta entsteht), der Absicht oder Wollen, in Pali cetanā, ist. Das Wort 'kamma' steht jedoch im allgemeineren Sinne für die Taten, die durch cetanā bedingt werden. Der Begriff'kamma-patha' (wörtlich: Lauf der Handlungen) wird für die vollendete Handlung gebraucht. Kamma-patha kann akusala kamma oder kusala kamma sein. Insgesamt gibt es zehn akusala kamma-patha, die durch Gedanken, Worte und Werke ausgeführt werden. Sie werden entweder durch lobha oder dosa motiviert. Wenn ein anderer Mensch eine böse Tat begeht, können wir nicht immer mit Bestimmtheit sagen, auf welche Art von citta die Handlung zurückgeht. Die zehn akusala kamma-patha sind:

  1. Töten
  2. Stehlen
  3. Sexuelles Mißverhalten
  4. Lügen
  5. Verleumdung
  6. Ungesittete, unhöfliche Rede
  7. Leichtfertige Gespräche
  8. Habsucht
  9. Übelwollen
  10. Falsche Ansicht, falsche Erkenntnis.

Töten, Stehlen und sexuelles Mißverhalten sind drei akusala kamma-patha, die durch den Körper ausgeführt werden. Lügen, Verleumdung, ungesittete Rede und leichtfertige Gespräche sind vier akusala kamma-patha, die durch Reden vollbracht werden. Habsucht, Übelwollen, falsche Erkenntnis sind drei akusala kamma-patha, die im Geiste ausgeführt werden. Was akusala kamma-patha durch den Körper betrifft, so ist es lobha, die Stehlen und sexuelles Mißverhalten motiviert. Stehlen kann sowohl von lobha als auch von dosa motiviert werden. Es geschieht aufgrund von lobha, falls man sich an etwas erfreuen möchte, das jemand anderem gehört. Dosa ist der Beweggrund, wenn man jemand anderem Schaden zufügen möchte. In dem Augenblick ist Abneigung, Widerwille und Haß vorhanden.

Akusala kamma-patha durch Rede sind Lüge, Verleumdung und Geschwätz, die durch lobha motiviert werden. Diese Art von Rede hat ihren Beweggrund in lobha, wenn man etwas erreichen möchte oder sich vor anderen herausstellen möchte. Vielleicht nehmen wir fälschlich an, eine sogenannte 'Notlüge' oder eine Lüge aus Spaß seien harmlos. Tatsächlich werden jedoch alle Lügen durch akusala citta motiviert. In der Lehrrede 'Ermahnungen an Rāhula im Ambalatthikā' (Ambalattikā-Rāhulovāda-sutta, MajjhimaNikāya, Bhikkhuvagga) spricht Buddha zu Rāhula über die Lüge. Buddha sagte:

„Ebenso, Rāhula, sage ich von dem, der sich einer bewussten Lüge nicht schämt, daß es nichts Böses gibt, das er nicht vollbringen könnte. Deshalb, Rāhula, soll gelten 'nicht einmal im Scherz will ich lügen'..., also hast du dich, Rāhula, wohl zu üben."

Was Verleumdung angeht, so gibt es viele Menschen, die gern über andere sprechen. Wenn keine Absicht vorliegt, das Ansehen anderer zu schädigen, ist es kein akusala kamma-patha. Wenn jedoch das Gespräch über andere zur Gewohnheit wird, ist die Gelegenheit zum entstehen von akusala kamma-patha gegeben.

Es wird von lobha-mūla-citta motiviert, wenn man durch die Verleumdung etwas für sich selbst erreichen oder anderen gefallen möchte. Wir werden weniger über andere sprechen oder sie verurteilen, wenn wir uns selbst und andere als Phänomene erkennen, die aufgrund von Bedingungen entstehen und wieder vergehen.

In dem Augenblick, in dem wir das Verhalten anderer Menschen besprechen, hat sich die bedingt entstandene Wirklichkeit bereits wieder verändert. Was sie gesagt oder getan haben, ist verschwunden und existiert nicht mehr. Leichtfertiges Geschwätz umfasst Gespräche über unnütze, sinnlose Dinge. Mitunter sind diese Art von Gespräche durch lobha-müla-citta motiviert, die nicht die gleiche Heftigkeit wie akusala kamma-patha besitzen. Mitunter ist lobha von der Stärke, daß sie die Ursache für Geschwätz ist, das akusala kamma-patha ist.

Lobha-mūla-citta kann zwei Arten von akusala kamma-patha durch den Geist bedingen: Habsucht und falsche Erkenntnis.

Habsucht bedeutet, man möchte etwas durch unehrliche Mittel für sich erlangen, das jemand anderem gehört. Es gibt viele Arten von ditthi (falsche Ansicht, falscher Glaube, falsche Erkenntnis). Jedoch sind drei davon akusala kamma-patha durch den Geist. Eine Art von ditthi ist ahetuka-ditthi. Das ist die Ansicht, es gäbe keine Ursache für die Existenz der Lebewesen und keine Ursache für ihre Reinheit oder Verderbtheit.

Eine andere falsche Ansicht, die akusala kamma-patha durch den Geist ist, wird akiriya-ditthi genannt. Sie ist der Glaube, gute und schlechte Taten würde kein Ergebnis bringen. Akusala kamma-patha durch den Geist ist auch die dritte falsche Ansicht, die natthika-ditthi oder Nihilismus heißt. Natthika-ditthi ist der Glaube, daß es kein Weiterleben nach dem Tode gibt. Alle Stärkegrade der lobha, seien sie grob oder fein, bringen Leiden. Wir sind Sklaven, solange wir an den Objekten, die wir durch Augen, Ohren, Nase, Zunge und den Tastsinn des Körpers erfahren, verhaftet sind und uns von ihnen blenden lassen. Wir sind nicht frei, solange unser Glück von Situationen abhängig ist, in denen wir uns befinden, und von der Art und Weise, wie andere sich uns gegenüber verhalten.

In manchen Augenblicken sind Menschen liebenswürdig zu uns, in anderen Augenblicken sind sie verletzend. Wenn wir der Zuneigung anderer Menschen zu viel Bedeutung beimessen, werden wir zu leicht im Geiste gestört und werden somit Sklaven unserer Launen und Gefühlsregungen.

Wir können unabhängiger und freier werden, wenn wir erkennen, daß wir selbst und andere nur nāma und rūpa sind, Phänomene, die aufgrund von Bedingungen entstehen und wieder vergehen. Wenn andere Menschen uns unerfreuliche Dinge sagen, dann reden sie so aufgrund von Bedingungen. Für uns sind Bedingungen entstanden, deretwegen wir solche Worte anhören müssen. Das Benehmen anderer Menschen und unsere Reaktionen ihnen gegenüber sind nāma und rūpa, die nicht dauerhaft sind. In dem Augenblick, in dem wir über diese Phänomene nachdenken, sind sie bereits weggefallen. Die Entfaltung des Klarblicks (Einsicht in die wahre Natur der Dinge) ist der Weg, freier zu werden. Achtsamkeit im gegenwärtigen Augenblick ist der Weg, dem Benehmen anderer Menschen uns gegenüber weniger Bedeutung beizumessen.

Weil lobha so tief verhaftet ist, kann sie nur in verschiedenen Stufen getilgt werden. Zuerst muß ditthi vermieden werden und danach die anderen Arten der Bedingungen. Der sotāpanna hat ditthi entwurzelt. Er hat die Weisheit entfaltet, die alle Phänomene als nāma und rūpa erkennt und sie nicht mehr als ein 'Ich' betrachtet. Da er frei von ditthi ist, entstehen die lobha-mūla-citta mit ditthi nicht mehr. Wir haben gesehen, daß vier Arten der lobha-mūla-citta mit ditthi entstehen (sie sind ditthigata-sampayutta) und vier Arten ohne ditthi (sie sind ditthigata-vippayutta). Für den sotāpanna entstehen noch die vier Arten von lobha-mūla-citta ohne ditthi, da er noch nicht jede Art von Bindung ausgemerzt hat. Der sotāpanna ,ein Mensch, der die eiste Stufe der Erleuchtung erreicht, hat noch Eigendünkel (māna).

Eigendünkel kann mit den vier Arten von lobha-mūla-citta ohne ditthi (ditthigata-vipayutta) entstehen. Eigendünkel, Einbildung (māna) bedeutet, daß man sich selbst mit anderen vergleicht, und man z.B. glaubt, man sei weiser als andere Menschen. Jedesmal, wenn man sich selbst besser, gleichwertig oder geringer als andere Menschen denkt, geschieht es aufgrund von Eigendünkel. Sich selbst geringer zu achten als andere, ist akusala. Eigendünkel ist so tief verwurzelt, daß er erst von dem arahat getilgt ist.

Der Mensch, der die zweite Stufe der Erleuchtung erreicht, der sakadāgāmī (Einmalwiederkehrer), hat weniger lobha als der sotāpanna. Der Mensch, der die dritte Stufe der Erleuchtung erreicht, der anāgāmī (Nichtwiederkehrer), hat keine Bindung mehr zu den Objekten, die sich durch die fünf Sinne erfahren lassen. Er erlebt aber noch Eigendünkel und hält noch am Leben fest. Der arahat hat lobha vollständig getilgt.
Der arahat ist vollkommen frei, da er von allen Befleckungen geläutert ist. Wir lesen im Samyutta Nikāya (Salāyatanavagga, Ähnliche Reden über die Sinne, dritte Fünfzig, Kapitel IV, Teil 136 nicht eingeschlossen), daß Buddha, als er unter den Sakkhas in Devadaha weilte, sagte:

„Mönche, Deva und Menschen erfreuen sich an Objekten. Sie sind erregt durch Objekte. Infolge der Unbeständigkeit, des Vergehens, des Hinschwindens der Objekte leiden Menschen und Deva.
Sie erfreuen sich an Klängen, Gerüchen, Geschmäcken, Berührungen, Bewusstseins-zuständen und werden davon erregt. Infolge der Unberständigkeit, des Vergehens, des Hinschwindens der Bewusstseinszustände, Mönche, leiden Deva und Menschen. Der Tathāgata jedoch, ihr Mönche, der ein arahat ist, ein vollkommen Erwachter, der die Dinge sieht, wie sie wirklich sind, ihr Entstehen und Vergehen, die Befriedigung durch sie, das Leiden durch sie und den Wegzur Rettung kennt- er verliert sich nicht an Objekten, findet keinen Gefallen an ihnen, wird durch sie nicht erregt. Infolge der Unbeständigkeit,des Vergehens und des Hinschwindens der Objekte, lebt der Tathāgata in Frieden ..."



Fragen
  1. Falls der Gegenstand eines Gesprächs nicht dāna (Geben,Großzügigkeit), sīla (Sittlichkeit, die in Worten oder Werken sich äußernde edle Geistes- und Willens Verfassung) oder bhāvanā (Geistesentfaltung) ist, kann die Rede von kusala citta motiviert sein?
  2. Welches cetasika ist kamma?
  3. Was sind die zehn akusala kamma-patha?
  4. Sind alle Arten von ditthi akusala kamma-patha?
  5. Warum führen Bindung und Zuneigung auf jeden Fall zu Kummerund Leid?
  6. Wer hat alle Erscheinungsformen von lobha überwunden?