Abhidhamma und Vipassanā


Kenntnisse im Abhidhamma können zu mehr Klarheit in der Vipassanā-Praxis führen, weil wir verstehen lernen, was wir mit Vipassanā direkt erfahren. Und weil wir wissen, was und wo der rechte Weg ist und auf was zu achten ist, werden wir weniger leicht abirren, Täuschungen und Illusionen erliegen. Abhidhamma-Wissen in Verbindung mit Vipassanā führt zu Weisheit und damit zur Befreiung durch Wissen (paññā-vimutti).

Shwezigon-Pagode ZeichnungIn der Vipassanā-Meditation beobachten wir z.B. unsere Geisteszustände und Emotionen wertfrei, um sie kennenzulernen - im Abhidhamma analysieren wir sie einzeln und erklären sie in ihren Bedingungszusammenhängen, um sie letztlich so zu sehen, wie sie wirklich sind: Unbeständig, unbefriedigend und nicht unser Selbst oder Eigentum (anicca, dukkha, anattā).

Geeignete Meditations-Objekte für Vipassanā
Nur "paramattha-dhammas" sind geeignet für die Vipassanā-Meditation. Wenn wir bei Konzepten (paññatti) bleiben, ist es unmöglich Einsicht und Erkenntnis zu erlangen. Wir müssen zum "Kern" der Konzepte, den letztendlichen Wirklichkeiten vordringen, sie erkennen mit ihren individuellen Charakteristika, beobachten und durchschauen in ihren universellen Charakteristika:
  • anicca - Unbeständigkeit, Flüchtigkeit

  • dukkha - Leidhaftigkeit, Unzulänglichkeit, unbefriedigende Natur

  • anattā - Unpersönlichkeit, Nicht-Selbst, Nicht-mein, Unkontrollierbarkeit.


  • Der Abhidhamma-Kenner weiß, weche Objekte paramattha-dhammas sind und welche nicht und auf was er achten muss, d.h. er weiß, ob er in der Meditation richtig liegt oder nicht, ob es echte Vipassanā ist oder nicht, und kann sich notfalls korrigieren.

    Vipassanā-ñāṇasBuddha in München
    Bevor der Meditierende die echten Einsichtsstufen (vipassanā-ñāṇas) erreicht, die letztlich zu den Pfadbewusstseins-momenten (magga-citta) und zur durchschlagenden Befreiung führen, sind zwei vorbereitende Erkenntnisse oder Wissensarten nötig:
  • 1. nāma-rūpa pariccheda ñāṇa= zwischen Geist und Materie unterscheidendes Wissen

  • 2. paccaya-pariggaha-ñāṇa = Wissen über Ursache und Bedingungen (von nāma und rūpa)


  • Diese beiden Erkenntnisse lösen falsche Ansicht (diṭṭhi) und Zweifel (vicikicchā, kankhā) auf und werden deshalb auch die Stufen "Reinigung der Ansicht" (diṭṭhi-visuddhi) und "Reinigung durch das Überwinden von Zweifel" (kankhāvitaraṇa-visuddhi) genannt.

    Ein theoretisches Studium von nāma (citta + cetasika) und rūpa, wie im Abhidhamma gelehrt, wird sehr helfen, diese beiden Phänomene auch in der Praxis, in der Vipassanā-Meditation klar auseinander halten zu können. Und das Studium des Paṭṭhāna, der Bedingungs-zusammenhänge, wird das Einsichtswissen über Ursache und Bedingungen befruchten.

    Abhidhamma und Vipassanā gehören zusammen. Theorie und Praxis ergänzen sich perfekt.

    Mahāsatipaṭṭhāna-Sutta
    Im Mahāsatipaṭṭhāna-Sutta (siehe Sutta-Text in Pāli und deutsche Übersetzung von Nyanaponika), das i.A. als Grundlage für die Vipassanā-Meditation angesehen wird, beschreibt der Buddha vier Grundlagen der Achtsamkeit bzw. vier Bereiche, in denen man Achtsamkeit entwickeln und gründen kann. Für jeden Bereich werden etliche Übungen der wiederholten Betrachtung oder Kontemplation (anupassanā) genannt und mehr oder weniger ausführlich erklärt. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen diesen Bereichen und den letztendlichen Wirklichkeiten (paramattha-dhammas) des Abhidhamma:

  • Kāyānupassanā (Betrachtung von Körperlichem, Materiellem) - entspricht Materie (rūpa)

  • Vedanānupassanā (Betrachtung von Gefühlen) - entspricht Gefühl (vedanā)

  • Cittānupassanā (Betrachtung von Bewusstsein) - entspricht Bewusstsein (citta)

  • Dhammānupassanā (Betrachtung von "Dhammas" bzw. Geistesobjekten) - entspricht im Wesentlichen den Geistesfaktoren (cetasika)


  • Shwezigon-PagodeWenn im Satipaṭṭhāna-Sutta bei jeder Übung betont wird, dass sie
                                "ātāpi, sampajāno, satima"
                        (eifrig, wissensklar und achtsam)
    ausgeführt werden soll, so erklärt uns der Abhidhamma genau, welche Geistesfaktoren und Bewusstseinsarten gemeint sind: die cetasikas vīriya, paññā (ñāṇa), sati und mahākusala ñāṇa-sampayutta cittas.

    Bei jeder Übung wird angegeben, was wir noch über die Natur unseres Objektes kontemplieren sollen:
  • "samudaya-dhammā-nupassī " = Kontemplation der Entstehungsfaktoren (unseres Objek- tes) oder der Entstehungs-Natur

  • "vaya-dhammā-nupassī " = Kontemplation der Auflösungsfaktoren (unseres Objektes) oder der auflösenden Natur

  • "samudaya-vaya-dhammānupassi" = Kontemplation der Entstehungs- und Auflösungs- faktoren (unseres Objektes) oder der Natur des Entstehens und Vergehens


  • Das heißt wir sollen die Bedingungen und Bedingunsgzusammenhänge erkennen und verstehen. Genau dies wird im Paṭṭhāna des Abhidhamma gelehrt.

    Wozu führt diese Praxis? Im Sutta heißt es in jedem der vier Bereiche: Zur Überwindung von "abhijjhā domanassa" - wiederum verbergen sich zwei cetasikas dahinter: lobha und vedanā (Gefühl der Qualität: geistig unangenehm).

    Und in der Einführung des Suttas heißt es noch genauer: Diese Praxis beendet
  • Sorge,

  • Wehklagen,

  • Schmerz und

  • Kummer

  • und führt zur Reinigung,

  • zum Erreichen des Pfades

  • und Erlangen von Nibbāna.


  • Der Abhidhamma-Kenner weiß genau, wovon der Buddha hier spricht...

    ANMERKUNGEN:

    Überblick über das Mahāsatipaṭṭhāna-Sutta von Sayadaw Dr. Nandamālābhivaṃsa & Daw Aggañāṇī (PDF, 304 KB)
    Samatha und Vipassana. Konzentrations- und Einsichtsmeditation, deutsche Übersetzung eines Dhammatalks von Sayadaw Dr. Nandamālābhivaṃsa (PDF, 1 MB)

    Mogok SayadawEine gute, vereinfachte Anwendung des Abhidhamma lehrt u.a. auch die Mogok Vipassanā-Tradition in Myanmar:

  • Vedanānupassā - Betrachtung der Gefühle nach Mogok Sayadaw (PDF)

  • Cittānupassā - Betrachtung des Bewusstseins nach Mogok Sayadaw (folgt später)


  • - für Interessenten vorerst hier der Link zum englischen Büchlein "Cittānupassanā (Meditation on mind) and Vedanānupassanā (Meditation on feeling) – Mogok Sayadaw’s Way" von U Than Daing.

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